Unterwegs zu "mystischen Orten":

von Michael Negele

Vom jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee zum Schloss Kórnik

Mit der gemeinsam mit Andreas Saremba entwickelten Idee, das Herbst-Treffen der Ken Whyld Association (20.10.-22.10.2006) zusammen mit der Emanuel-Lasker-Gesellschaft in Berlin durchzuführen und dies mit einer anschließenden Fahrt nach Polen zu verbinden, konnte ich mich rasch anfreunden. Zum einen war dies ein willkommener Anlaß, etliche der am Lasker-Biographie-Projekt beteiligten Autoren und Forscher nochmals zusammenzubringen, zum anderen konnten wir unserem "Jungmitglied", der Bibliothek im Schloss Kórnik, und damit der Hinterlassenschaft eines der bedeutendsten Schachforscher des 19. Jahrhunderts, Tassilo von Heydebrand und der Lasa, einen "Antrittsbesuch" abstatten.

Als dann zusätzlich die von Ralph Schiffmann und anderen Berliner Schachfreunden gestiftete Gedenktafel für Jean Dufresne am Freitagnachmittag eingeweiht werden konnte, war ein durchaus attraktives Programm zustande gekommen.
Mit der folgenden Zusammenstellung möchte ich alle übrigen Schachfreunde an diesem gelungenen Wochenende teilhaben lassen. Mein Dank gilt den fleißigen Fotografen, den Berliner Gastgebern - insbesondere Susanna Poldauf und ihren Helfern sowie Andreas Saremba für die Organisation des Treffens in Weißensee, aber natürlich auch Ralph Schiffmann für seine Großzügigkeit.
Meinen polnischen Freunden, Maria Łuczak, Dr. Kazimierz Krawiarz und ihrem Team von der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Kórnik gilt unser Dank ebenso wie Tomasz Lissowski, der diesen Besuch durch seine Vermittlung möglich machte.
Last not least: Großes Dankeschön an Ralf Binnewirtz, unermüdlicher "Meister des Netzes".
(Unseren kurzen Vorbericht zu diesem Wochenende finden Sie im Archiv.)

Jüdischer Friedhof in Berlin-Weißensee

(Nachmittag 20.10.2006)

Ralph Schiffmann neben dem Grabstein von Jean Dufresne (1829-1893), der nun mit einer schönen Gedenktafel geehrt wird. Der jüdische Friedhof in Weißensee ist mit 115000 Gräbern der größte Westeuropas.

Andreas Saremba zitiert aus seiner schönen Dufresne-Biographie. Rechts erkennt man Frank Hoppe, den Webmaster des BSV, zu dessem schönen Beitrag über diese Aktion folgender Link (allerdings nur in Deutsch) führt: www.berlinerschachverband...

Trotz Nieselregens lauschen die Gäste den Ausführungen: Man erkennt ganz vorne Herrn Seppelt mit Frau, dann P.W. Wagner, T. Gillam (leicht verdeckt), M. Negele, R. Binnewirtz, S. Augustat und H. Fietz.

Nun versammelt sich die "Gemeinde" um die Stele zu Ehren Paul Lasker-Schülers (1899-1927), des Sohnes von Else Lasker-Schüler. Berthold Lasker (1860-1928), der ebenfalls auf diesem Friedhof beerdigt ist, überlebte ihn um ein Jahr, seine Vaterschaft wurde von der mit ihm von 1894-1903 verheirateten Künstlerin stets in Abrede gestellt.

Das Grab von Dr. Berthold Lasker.
Die Inschrift ist leider schlecht lesbar - die hebräischen Schriftzeichen bedeuten: "Möge seine Seele eingebunden sein in den Bund des Lebens"

"Emanuel Lasker (Gesellschaft) trifft Ken Whyld (Association)" im Leuschnerdamm 31

(Abend 20.10.2006)

Egbert Meissenburg, der erfreulicherweise die Erstellung einer Lasker-Bibliographie für unser Projekt übernehmen wird. Daneben Ralf Binnewirtz, dessen Beitrag sich mit Laskers wenigen Problem-kompositionen beschäftigt.

Die "Delinquenten" Tony Gillam, Toni Preziuso und Michael Negele in gespannter Erwartung des "Lasker-Abends" - im Vordergrund das ubiquitäre Aufzeichnungsgerät von Andreas Saremba - "Quelle etlicher Tondokumente".

Stefan Hansen (Spiritus Rector des Lasker-Projektes) im Zwiegespräch mit Jurgen Stigter, der sich mit Laskers Mathematik - zusammen mit dem Straßburger Professor Norbert Schappacher - beschäftigen wird.

Ob Tony Gillam auf Laskers Schreibtisch noch verschollene Partien vermutet? Dahinter ist der historische Schachtisch des WM-Matches 1910 Lasker-Schlechter zu erkennen.

Prof. Hans Holländer (links), wie Ralph Schiffmann steter Gast und Unterstützer des Lasker-Gesellschaft.

Zumindest Toni Preziuso nimmt meine Ausführungen mit freundlich-freudiger Gelassenheit entgegen, da wirkt Tony Gillam neben einem entspannten Andreas Saremba (s.u.) eher konzentriert - sicherlich wurde gerade wieder mal "Deutsch" gesprochen.

Stefan Hansen, quasi Hausherr im Dorland-Haus, führt nochmals seine Beweggründe für die Unterstützung des Lasker-Buches aus: Mindest so dick wie Richard Forsters "Amos Burn" sollte es schon sein ... Ralf Binnewirtz findet diese Idee durchaus amüsant, und im Hintergrund "strahlt" Susanna Poldauf, die über "Lasker und die Berliner Bohème" erzählen wird.

"Schachschätze an einem mystischen Ort" - Schloß Kórnik

(21.10. und 22.10.2006)

Geduldiges Warten auf die "Roten" - kurz hinter Frankfurt/Oder und bei strahlendem Sonnenschein. (Von links: Bernd Ellinghoven, Ralf Binnewirtz, Jurgen Stigter, Toni Preziuso und Calle Erlandsson.)

"Here they are" - mit reichlich Stau und wenig Benzin trotzdem am "Zwischenziel": Marie-Theres Saremba, Tony Gillam und Andreas Saremba.

Doch auch die Nachhut bedarf einer Pause - Tony Gillam weiß wie immer einiges zu berichten.

Kórnik, wir kommen - fragt sich nur wann. Zum Glück war Tomasz Lissowski irgendwann dann doch am Telefon.

Glücklich, aber mit 2,5 Stunden Verspätung angekommen - Dank an unsere großzügigen Gastgeber und des vom langen Warten etwas "genervten" Tomasz, der seine Freunde und Gäste endlich begrüßen konnte.

Nun sollte man sich zuerst stärken - dazu war der herrliche Speisesaal im Schlosskeller wunderschön herbstlich dekoriert (rechts u. unten).

Dr. Kazimierz Krawiarz (links neben Bernd Ellinghoven) ist Biochemiker, aber auch Schachamateur aus Leidenschaft, ein lustiger und sprachkundiger Tischnachbar.

Reden gab’s auch einige: Maria Łuczak und Michael Negele lauschen aufmerksam den Worten von Andreas Saremba, der als Vorstandsmitglied der Emanuel-Lasker-Gesellschaft sprach.

Zukertort und Cremetorte ...

... unsere beiden polnischen Freunde kamen um diese "possierliche Pose" nicht herum -

... ein gewidmetes Exemplar unseres Buches gehört nun auch zur >>

Endlich in der Schatzkammer!

Da die Bibliothek natürlich schon lange geschlossen war, hatte Maria Łuczak (s. u.) die schönsten Bücher und etliche Dokumente und Urkunden aus dem Besitze Von der Lasas ins Schloss bringen lassen ...

... der frühere Besitzer "wachte strengen Auges" über die späten Gäste.

Die Bilder geben nur einen kleinen Eindruck der Sammlung - hier der schöne Katalog der Auktion des Hauses Karl & Faber, München im Jahre 1935, um aufzuzeigen, welche Schätze leider nicht mehr in Kórnik einzusehen sind.

Von der Lasa hatte seine Bestände bestens dokumentiert, damals ging das noch in einem 166seitigen Bändchen, das er erstmalig 1887 in 75 Exemplaren erstellen ließ. (In 2002 druckte die Bibliotek Kórnickie einen Reprint dieses Verzeichnisses, dieser ist leider auch schon wieder vergriffen.)

Nachfolgend werden ein paar Schätze ausgebreitet ...

MOMMEIANUS B. TOLOSANUS
Ludi latrunculorum brevis descriptio
Parisiis 1560

GUSTAVUS SELENUS
Das Schach- oder Königs-Spiel
Leipzig 1616

PETRUS DAMIANI
Operum [...]
Roma 1606

Urkunde über die Wahl von der Lasas zum Ehren-Präsidenten des Vereins Wiesbaden, Juli 1897

GIOACHINO GRECO
Le jeu des eschets. Traduit de l'Italien de [...]
Paris 1689

ALESSANDRO SALVIO
Il puttino altramente
Napoli 1643

First American Chess Congress
New York, November 1857

Da kommen wir heutigen Sammler und Schachhistoriker aus dem Staunen nicht mehr heraus - schier unerschöpfliche Quellen sind in den Aufzeichnungen von Tassilo von Heydebrand und der Lasa noch zu sichten und auszuwerten.

Calle "wühlt" in alten Urkunden ...

Tomasz Lissowski war natürlich schon oft zu Gast in Kórnik, doch heute konnte er dies alles seinen Freunden zeigen, was ihn sichtlich stolz machte.

Tony Gillam war sichtbar beeindruckt und zeitweise sprachlos - was selten vorkommt.

Unsere hervorragende Gastgeberin in einer traumhaften Umgebung - Maria Łuczak.

Danach hieß es, im nächtlichen Kórnik noch etwas gegen den Durst zu tun. Keine leichte Übung, aber schließlich rann doch noch so manches Glas guten polnischen Bieres durch durstige Kehlen, auch deutsch-schwedische Brüderschaften waren zu verzeichnen.

Danach hieß es, im nächtlichen Kórnik noch etwas gegen den Durst zu tun. Keine leichte Übung, aber schließlich rann doch noch so manches Glas guten polnischen Bieres durch durstige Kehlen, auch deutsch-schwedische Brüderschaften waren zu verzeichnen.

Am nächsten Morgen machten wir uns nach Stärkung durch ein reichhaltiges Frühstück sehr zufrieden auf den weiten Rückweg - die anstrengende Reise hatte sich gelohnt.

Ähnlich werden die Teilnehmer des ersten von der Lasa-Symposiums 2002 gedacht haben - in der ersten Reihe unser unvergessener Ken Whyld:

Nun bleibt zu hoffen, dass im Oktober 2007 eine zweite Veranstaltung dieser Art uns alle wieder nach Kórnik führt.
Nun bleibt zu hoffen, dass im Oktober 2007 eine zweite Veranstaltung dieser Art uns alle wieder nach Kórnik führt.

Der Wassergraben mit Blick auf den Schlosspark.

Das Städtchen mit ca. 6000 Einwohnern liegt in herrlichen Wäldern an der groß- polnischen Seenplatte, ca. 20 km südöstlich von Poznan (Posen).

Das Schloss wurde in der heutigen Form in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Stil der romantischen Neogotik von Tytus Działynski (1796-1861) ausgebaut. Mit der Absicht, eine Bibliothek zu gründen, die die einstige Größe und Ruhm des geteilten Polens dokumentierte, sammelte er Manuskripte und alte Drucke, kaufte gezielt Quellen über die Geschichte des polnischen Staates und des polnischen Volkes in ganz Europa. Sein Sohn, Jan Kanty Działynski (1829-1880) setzte diese Tradition und den Ausbau des Schlosses fort, so entstand dort eine der bekanntesten polnischen Bibliotheken.

Besondere Prägung gab jedoch Władysław Zamoyski (1853-1924), der Schwiegersohn von Jan Działynski, dem Schloss und seinen Sammlungen. Sehr sparsam und bescheiden lebend, gab er nach dem Tode seiner Frau bekannt, eine Stiftung zu gründen und dem polnischen Volk das Schloss Kórnik und alle Sammlungen zu übergeben. Bis 1952 blieb diese Stiftung erhalten, somit konnten die Sammlungen die Kriegszeiten unbeschadet überstehen, dies gelang auch weitgehend in der Zeit danach, als Kórnik Eigentum der Polnischen Akademie der Wissenschaften wurde -

... die dortige Sammlung von Baumsamen (Arboretum mit über 3000 Baumarten) hat Weltruhm. Seit 2002 ist der Stiftungscharakter in Kórnik wiederhergestellt.

Die Photos geben einen Eindruck von der prächtigen Ausgestaltung der Innenräume:

Die wappenverzierte Deckentäfelung im Esszimmer.

Das Esszimmer mit edlem Interieur (links u. unten).

Mauretanischer Saal

Schloss Kórnik in einer wärmeren Jahreszeit

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