Höchstes Niveau bei bescheidener Beteiligung

Bericht von Michael Negele zum Treffen in San Francisco 2009 (02.01.2010)

Ein persönlicher Erlebnisbericht eines "alten" Europäers aus dem "weiten Westen" der USA

Als im September 2007 beim hervorragend besuchten KWA-Treffen in New York der Vorschlag akzeptiert wurde, sich im Herbst 2009 in San Francisco in den schönen Räumen des Mechanics' Institute zu versammeln, war ich sofort begeistert. Für mich war das dann zwar kein "Neuland", denn auf einer Dienstreise nach Berkeley (CA) hatte ich im Juli 2004 schon einmal die Gelegenheit, den dortigen Chess Club mit meinen Freunden Andy Ansel und John Donaldson zu besichtigen. [Siehe Auf den Spuren des Goldrauschs.]

Blick in den Leseraum der Bibliothek
Blick in den Leseraum der Bibliothek

Doch niemand konnte ahnen, dass uns nach dem schönen Treffen in Dresden 2008, wo unser zukünftiger Gastgeber uns herzlich einlud (>> Dresden 2008), eine weltweite Finanzkrise selbst die eingeschworenen Schachsammler erschüttern würde.

John Donaldson errang 1983 den IM-Titel durch ein Turnier in Lugano - das waren noch (Schach-)Zeiten!
John Donaldson errang 1983 den IM-Titel durch ein Turnier in Lugano - das waren noch (Schach-)Zeiten!

Denn das von John, unserem Chairman (und ehemaligem sunny-state-boy) Andy und weiteren kalifornischen Mitgliedern wie Kerry Lawless und Yakov Zusmanovich zusammengestellte Vortragsprogramm von Freitag, 9. Oktober bis Sonntag, 11. Oktober, klang vielversprechend und mit der potenziellen Teilnahme von GM Ian Rogers aus Australien qualitativ hochwertig.

Doch leider hagelte es aus Europa Absagen, zudem trieb ein parallel ab Montag stattfindender Oracle-Event die Hotelpreise an diesem Wochenende in unerschwingliche Höhen, was auch das Interesse in den USA nachteilig beeinflusste.
Unbeirrt durch alle Börsen- und Banken-Hiobsbotschaften (und durch zusätzliche Verpflichtungen beruflicher Natur) plante ich meine Teilnahme.
Ein günstiger BA-Flug via Düsseldorf und London war rasch gebucht, die dabei in Kauf genommene "Holz-Klasse" ein dem "Sammlerbudget" gebrachtes Opfer.
Am Ende kann ich nur sagen: Es war ein angenehmer Flug mit überraschend gutem Service, nur etwas langweilig ...

Auf dem SFO wurde ich dann am Donnerstag-nachmittag (für mich natürlich um 1 Uhr nachts) mit etwas Verzögerung von meinem Freund und unserem Vor-Ort-Organisator John Donaldson in Empfang genommen, der mittlerweile auch den aus Amsterdam eingeflogenen Jurgen Stigter mit reichlich Gepäck (aus Delaware von Dale Brandreth kommend) eingesammelt hatte.

Blick vom Coit Tower auf das imposante Häusermeer von San Francisco
Blick vom Coit Tower auf das imposante Häusermeer von San Francisco

Mit dem vom letzten Besuch vertrauten BART (Bay Area Rapid Transport) ging es zur Powell Station in Downtown SF, wo Jurgen und ich uns nach längerer email-Beratschlagung mit John im Handlery Union Square Hotel einquartiert hatten. (>> Scan rechts, zur Vergrößerung anklicken.)
Super-zentral gelegen, für mich der erste Aufenthalt "am Puls" einer der schönsten Städte der Welt.

Dass es dann von Freitag- auf Samstagnacht zu "lebhaft" wurde und dies zu einem "Complaint" führte, wurde ebenfalls vorbildlich "US-customer-service-like" erledigt: Die letzte Nacht gab's dann ohne Murren 80 US-$ preiswerter, mein mit besserem Nachtschlaf (weil Jetlag-frei) gesegneter Zimmergefährte hat sich mächtig darüber gefreut, für mich war die "morning-session" unseres KWA-Treffens sehr "anstrengend", wie einige Bilder beweisen werden.

Davon war Donnerstagnacht noch nichts zu merken, denn nach einem schönen Dinner mit John und Jurgen fielen mir sowieso nach einem 28-Stunden-Tag die Augen nur noch zu.

Ein swimming pool im Innenhof des Hotels lädt zur Erfrischung ein, links hinten lag unser zweites, sehr ruhiges Zimmer.
Ein swimming pool im Innenhof des Hotels lädt zur Erfrischung ein, links hinten lag unser zweites, sehr ruhiges Zimmer.
Ebenfalls vom Coit Tower eine herrliche Sicht auf Fisherman's Wharf, den Yachthafen und die berühmte Alcatraz-Insel
Ebenfalls vom Coit Tower eine herrliche Sicht auf Fisherman's Wharf, den Yachthafen und die berühmte Alcatraz-Insel

Freitagmorgen dann bei wunderbar nebelfreiem Wetter die geplante Tour mit Jurgen:
Durch Chinatown und Little Italy zum Coit Tower, von wo es bei strahlendem Wetter unvergleichliche Blicke auf die Bay (und natürlich die ehemalige Gefängnis-Insel Alcatraz) sowie die Stadt mit der dominierenden Transamerica Pyramid festzuhalten galt.

Geldinstitut in Chinatown - geradezu pittoresk!
Geldinstitut in Chinatown - geradezu pittoresk!

Über die Entstehungsgeschichte des Coit Tower informiert diese Webseite.

Ergänzend eine Galerie mit eigenen Schnappschüssen (10 Fotos).

Auf zum Coit Tower!
Auf zum Coit Tower!
Die (zentrale) Transamerica Pyramid überragt die Skyline von San Francisco
Die (zentrale) Transamerica Pyramid überragt die Skyline von San Francisco

Dann weiter über Telegraph Hill die gesamte Lombard Street entlang - halt typisch "Straßen von San Francisco" mit einem netten Frühstücks-Stop in einem Künstler-Café. Über den "Blumenhügel", der berühmte Abschnitt der Lombard, dann über Russian Hill hinunter zu Fisherman's Wharf.
Von dort die obligatorische Cable Car Tour zurück zum Union Square, selbstverständlich "als todesmutige Außensteher".

Michael Negele an den berühmten Kurven der Lombard Street.
Michael Negele an den berühmten Kurven der Lombard Street.

Stärkung im Künstlercafé -
rechts Jurgen Stigter zwischen zwei "Neandertalern"
(Bilder zum Vergrößern anklicken)

Weitere (25) Fotos aus San Francisco bietet die folgende Galerie.

Das genügte eigentlich schon für zwei Tage, aber um 15 Uhr waren wir mit John im Mechanics' Institute verabredet, wo sich bald darauf Andy Ansel und weitere US-Teilnehmer zu uns gesellten.

Weitere Bilder vom Mechanics' Institute erwarten Sie in dieser Galerie (mit 25 Fotos).

Nach einer kurzen Tour durch die Chess Club Räumlichkeiten machten wir uns zum Abendessen nach Chinatown auf, danach konnten Jurgen und ich in Begleitung von Kerry Lawless uns noch etwas "Nachtleben" in Downtown ansehen. Dass es dann mit der "Nachtruhe" suboptimal lief - siehe oben ...

Am Samstagmorgen war ich dann doch erstaunt, welch interessante Gruppe von Teilnehmern zustande gekommen war.
Zwar lag die Mitglieder-Beteiligung weit unter den Zahlen von NYC und Dresden, sogar noch geringer als beim vergleichbar "ungünstigen" KWA-Jahrestreffen 2006 in La Tour-de-Peiltz am Genfer See. Mit dabei zu meiner Überraschung Myron Samsin aus Ottawa, mit dem wir über die Buchprojekte der KWA diskutierten.

Andy Ansel, Myron Samsin und Andy Milburn
Andy Ansel, Myron Samsin und Andy Milburn

Dazu die CA-Boys Kerry, John und Yakov, sowie Andy Ansel. Leider musste Phil McCready aus Seattle ganz kurzfristig wegen einer Familienangelegenheit absagen, somit fiel sein Vortrag über Nikolai Minew (und das Herausgeben von Schachbüchern im Eigenverlag) aus. Vermisst wurde auch Lawrence Totaro aus Las Vegas, von der Ostküste kam außer Andy Ansel kein einziger Schachfreund.

Andy Ansel, Yakov Zusmanovich, Anthony Saidy und John Donaldson
Andy Ansel, Yakov Zusmanovich, Anthony Saidy und John Donaldson

Aber es gab doch zahlreiche illustre Gäste, wie Ian und Cathy Rogers, die auf dem Rückweg von China nach Australien einen Zwischenstopp in San Francisco eingelegt hatten. Ian gab am Sonntag noch ein Training für die Jugendlichen des MI chess clubs. Außerdem IM Dr. Anthony Saidy aus LA, der vieles über Bobby Fischer und die US-Schachszene der sechziger bis achtziger Jahre zu berichten wusste. Dann der legendäre, aber recht schweigsame IM Walter Shipman, der Morphy-Buch-Autor Frisco Del Rosario und Robert Moore (früher Anchorage, Alaska), der den Teilnehmern seine schöne Ausarbeitung über "Alaska's First Chess Champion", William Andrews Dickey (*20.10.1862 in Manchester; †Dez. 1939 in Seattle) präsentierte. Eine besondere Spezialität, denn nach W.A. Dickey sucht man im "Gaige" vergeblich.

Wir verlinken einen online-Beitrag zum U.S. Senior Open 2007 mit einigen Angaben zu Walter Shipman.

Frisco Del Rosario signiert sein Morphy-Lehrbuch.
Frisco Del Rosario signiert sein Morphy-Lehrbuch.
Robert Moore saß in der hinteren Ecke des Auditoriums
Robert Moore saß in der hinteren Ecke des Auditoriums

Der junge Andrew Smith (Bild rechts) zeichnete die gesamte Veranstaltung mit modernsten Mitteln auf, ein reizvoller Kontrast zu Richard Shorman (Bild unten), der seine Bilder konventionell "schoss", direkt vor Ort ausdruckte und die Teilnehmer damit beglückte. Sehr originell. (Laut Andy: Long-time columnist for the Hayward paper and fixture in the SF Bay Area chess scene.)

Mehr über Richard Shorman in www.norcalchess.org/...pdf. Des weiteren: Richard Shorman Lectures auf ChessDryad.Com.

Richard Shorman und Kerry Lawless
Richard Shorman und Kerry Lawless

Das Programm vom Samstag war so intensiv, dass ich meine Ausführungen über das Lasker-Projekt auf Sonntagvormittag verschieben musste.

Samstag, 10. Oktober

9:30-10:30 Uhr
Führung von IM John Donaldson durch den Mechanics' Chess Club nebst Bibliothek

10:30-11:30 Uhr
Eröffnung des KWA-Treffens durch Andy Ansel

11:30-12:45 Uhr
Hauptvortrag von GM Ian Rogers über Cecil Purdy (Ein glänzend unterhaltsamer "Talk" über Purdys Leben, das völlig dem Schach gewidmet war. Sehr einfühlsam und gut verständlich dargeboten, ein echtes Highlight für die KWA. Es gab zahlreiche Fragen und Diskussionen.)

13:00-14:00 Uhr
Lunch im Taylor's Automat (Hamburger-Restaurant an den Piers)

14:30-16:00 Uhr
Vortrag von Yakov Zusmanovich über Feodor Bohatirchuk (Hochinteressant wegen der vielen gezeigten Originaldokumente, aber vielleicht etwas zu weitschweifig. Yakov ist halt sehr enthusiastisch über dieses teilweise auch politische Projekt.)

16:00-16:45 Uhr
Vortrag von IM Anthony Saidy über "My Battles with Fischer" (Natürlich sehr kurzweilig und lustig. Es gab viele Fragen, leider war Tony Saidy am Abend nicht dabei.)

Ab 17:30 Uhr mit dem BART nach Berkeley
19:00 Uhr Dinner im Udupi Palace (Indisches Restaurant).

Sonntag, 11. Oktober

9:30-11:00 Uhr
Büchermarkt (War eine eher enttäuschende Angelegenheit, denn kaum etwas wurde angeboten. Immerhin fand ich einige Kunden, so dass ich etwas "an Gewicht" verlor. Das wurde aber durch die vom MI zum Verkauf übernommenen Bücher mehrfach überkompensiert ...)

11:00-11:30 Uhr
Vortrag des demnächst jüngsten Autors weltweit, des 13-jährigen FM Daniel Naroditsky (Verlag New in Chess).
(Eine wirklich denkwürdige Präsentation, denn der Vater des Jungen war natürlich ebenfalls dabei und achtete beträchtlich auf die gute Wirkung. Für mich war es eher unwirklich, dass ein junger Bursche so ernsthaft über Schach und seine Karriere als Autor öffentlich nachdenkt.)

Das Phänomen Daniel Naroditsky
Das Phänomen Daniel Naroditsky

11:30-12:15 Uhr
Der geplante Vortrag von Phil McCready über Nikolay Minev und Eigenpublikation musste leider wie erwähnt ausfallen.
Stattdessen meine (übliche) Lasker-Präsentation, die gut angenommen wurde.

Kerry Lawless' Bibliographie kalifornischer Schach-Periodika, von der jeder Teilnehmer ein Exemplar erhielt.
Kerry Lawless' Bibliographie kalifornischer Schach-Periodika, von der jeder Teilnehmer ein Exemplar erhielt.

Vielleicht zu zeitknapp gewürdigt dann die schöne Zusammenstellung von Kerry Lawless, etliche saßen schon "auf heißen Kohlen" für die Abreise.

12:15-12:45 Uhr
Vortrag von Kerry Lawless über Chessdryad.com und California Periodicals.

Kerry Lawless
Kerry Lawless

Ausgefallen ist wegen Zeitmangels der Beitrag von IM John Donaldson über das am längsten bestehende regionale Periodikum der Welt (Northwest Chess 1947 bis heute).

12:45-13:00 Uhr
Danach war nur knappe Zeit für abschließende Worte von Andy, der sich etwas enttäuscht zeigte über die geringe Beteiligung (sowohl aus USA wie Europa). Ob sich für eine erneute Veranstaltung in 2011 (Cleveland) in den USA eine Mehrheit ausspricht, muss sich zeigen. Vieleicht ist das Interview mit Lissa Waite eine gute Gelegenheit, dafür etwas Werbung zu machen.

Nachdem sich unsere Versammlung rasch auflöste, hatte ich das logistische Problem, mit drei Gepäckstücken (und zwei Händen) wieder zum Flughafen zu kommen, ohne ein horrend teures Taxi zu nehmen. Es hat geklappt und ich konnte mir einen weiteren Traum erfüllen:

MapEasy's Guidemap To California Highway One (zur Vergrößerung anklicken)
MapEasy's Guidemap To California Highway One (zur Vergrößerung anklicken)

Mit einem Leihwagen Richtung Süden über die Traumstraße der Welt, den California Highway No.1 von Monterey (Carmel) über Big Sur bis Sanct Simeon (und Hearst Castle) zu fahren. Doch das ist eine andere und ganz "schachferne" Geschichte.

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