Ein Schachmeister aus Dessau: Otto Rosenbaum

Konrad Reiß, Otto Rosenbaum..., Biographie 2021.
Konrad Reiß, Otto Rosenbaum..., Biographie 2021.

„Oh, das habe ich vergessen!“ – ist ein Satz, der bei dem, der ihn aussprechen musste, in aller Regel Schuldgefühle auslösen wird. Vergessen und/oder Vergesslichkeit gelten nicht als anstrebenswerte Tugenden, eher als Untugend. Jedoch gibt es in dem Titel des sehr empfehlenswerten Buches von Konrad Reiß, Otto Rosenbaum. 1852-1923. Der (fast) vergessene Schachmeister aus Dessau das Trost spendende Wörtchen (fast).

Also doch nicht ganz vergessen ist der Bürger der Stadt Dessau, eine blasse Erinnerung verblieb, auch bedingt durch die Zerstörungen und Gewalttaten des Faschismus, aber beinahe wäre er völlig aus der Erinnerung / der Schachhistorie entschwunden - der Schachmeister Otto Rosenbaum aus Dessau. Ja fast, wenn da nicht Konrad Reiß über Jahre hinweg forschend sich um das Leben dieses jüdischen Bürgers in seiner Zeit gekümmert hätte.

Seiner Auf- und Erarbeitung der regionalen Schachgeschichte Mitteldeutschlands muss man nicht unbedingt Interesse entgegen bringen in Zeiten, in denen vor allem die Folgen des 1. e2-e4 … oder anderer Eröffnungen im Mittelpunkt des Interesses der Schachspieler stehen, in Zeiten, in denen die Großtaten eines Magnus Carlsen und anderer breitesten Raum in der Schachpublizistik einnehmen.

Sollte also der „normale“ Schachspieler Otto Rosenbaum kennen oder kennen lernen?
Ja, weil mit dieser regional wirkenden Persönlichkeit aus der Zeit um 1900 auch überregional bedeutsame Schachereignisse, und nicht nur diese, dankenswerterweise vom Autor verknüpft werden.
Ja, weil mit dem Schachspiel stets auch allgemeine deutsche Geschichte verbunden ist und in dieser Biographie (z.B. S. 5 ff; S. 141 ff; S.146 ff) mit einbezogen wird.

Otto Rosenbaum, ein angesehener jüdischer Bürger und Kaufmann, gründete 1883 den Dessauer Schachverein, war Funktionär und Organisator des Schachlebens in Dessau, nahm an zahlreichen Turnieren des Saale-Schachbundes und später des Deutschen Schachbundes teil.

Was erwartet nun den Leser?
Antwort: Sehr viel zu den verschiedensten Aspekten der Schachgeschichte!

Er begegnet so bekannten Schachgrößen wie Dr. Siegbert Tarrasch, mit dem Otto Rosenbaum am Schachbrett kämpfte, lernt einen Sieg Otto Rosenbaums gegen Dr. Max Lange (S.120f) kennen, erfährt von Simultan-Veranstaltungen Jacques Mieses (S. 132), erlebt in Teilen den XV. Kongress des Deutschen Schachbundes (S.130f) in Nürnberg 1906 mit. An diesem nahmen Größen wie Marschall, Schlechter, Tschigorin, Tarrasch und Spielmann teil. Auch Otto Rosenbaum weilte in Nürnberg, allerdings spielte er dort nicht.

Nicht nur aus diesen Bemerkungen kann entnommen werden, dass Konrad Reiß eine quellenorientierte Darstellung gelungen ist. Dem Leser werden in durchweg guter Druckqualität zahlreiche Fotos, Faksimiles wichtiger Quellen, Turniertabellen und etliche Partienotationen und Diagramme geboten.

GM Dr. Robert Hübner: Analyse der Partie Rosenbaum-Hülsen, S. 85-95; hier: S. 85.
GM Dr. Robert Hübner: Analyse der Partie Rosenbaum-Hülsen, S. 85-95; hier: S. 85.

Einige Partien erfahren auch ausführliche Kommentierungen. Zum Teil von keinem geringeren Schachexperten als GM Dr. Robert Hübner (S.13-25; S.85-93). Dieser kommentierte nicht nur, sondern half auch anderweitig.

Weitere Bezüge heraus aus den Schachaktivitäten des Dessauers führen ins Schachdorf Ströbeck (S.45-54). Ferner zum Correspondenz-Schachkampf (S.57-62) der Frauen aus Ströbeck mit dem Dessauer Schachverein 1886/87. Der Autor Konrad Reiß rekonstruiert mit tätiger Hilfe des GM Dr. Hübners fehlende Teile dieser Partien, faksimilisiert einige Postkarten, zeigt Diagramme und historische Darstellungen.

Die Biographie zu Otto Rosenbaum beschränkt sich nicht nur auf seine schachlichen Aktivitäten, siehe oben, sondern zeigt ihn auch als tätiges Mitglied der jüdischen Gemeinde in Dessau, als Sekretär (S.141-145) einer Stiftung der Baronin Julie von Cohn-Oppenheim. Die Biographie führt uns Leser bis in die Anfänge der Weimarer Republik (S.146-149), weil Otto Rosenbaum Mitglied der DDP (Deutsche Demokratische Partei) geworden war.

Grabstein der Eheleute Otto und Auguste Rosenbaum
Grabstein der Eheleute Otto und Auguste Rosenbaum

Sein Grabstein (S.149), seine letzte Ruhestätte und die seiner Frau, steht auf dem Israelitischen Friedhof zu Dessau. Auch diese Tatsache nutzt Konrad Reiß zu einigen lesenswerten Bemerkungen zur Geschichte dieses Friedhofes, seiner Zerstörung durch die Nazis, seiner Wiederherstellung nach einer langen Phase der völligen Nichtbeachtung.

Die Biographie schließt zusammenfassend mit zwei Tabellen. Eine zeigt alle Turnierteilnahmen, die andere die bekannten Schachpartien Otto Rosenbaums. Alle werden in dem Buch veröffentlicht.

Nach dem bisher Mitgeteilten scheint es dem Rezensenten fast überflüssig zu sein, resümierend dieses Buch zu loben, eine Lesefreude versprechende Lektüre zu versprechen. Vorliegt eine ganz ausgezeichnete, wohl begründete und quellenorientierte Arbeit.

Reiß, Konrad. Otto Rosenbaum. 1852 - 1923.
Der (fast) vergessene Schachmeister aus Desssau.
Mit Kommentaren des Großmeisters Dr. Robert Hübner.
Löberitz / Zörbig / Leipzig, 1.Aufl. 2021 (100 Ex.) : Repromedia Leipzig. IX, 160 S.

Mit einem Geleitwort von Dr. Robert Reck, Dr. Helmut Pfleger, Dr. Bernd G. Ulbrich, Andreas Domaske. S. VIII-IX., sowie „Eine kleine Einführung des Verfassers.“ Zahlreiche Quellen in Form von Fotos, Postkarten, Faksimiles. Diagrammen und Kommentaren von Dr. Robert Hübner.

Zu beziehen ist die Biographie zum Preis von 24 Euro + Porto beim Autor Konrad Reiß:

SG 1871 Löberitz, Konrad Reiß, Oskar-Fleischer-Str. 11
D 06780 Zörbig
034956 / 25 360 (privat)

Siegfried Schönle (Kassel), Mai 2022

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