Schach und Musik
5. Ausstellung der Schach- und Kulturstiftung G.H.S., Ebersberg, 5.11.2022 – 27.11.2022 im Saal unterm First
von Siegfried Schönle
Es ist schon sehr außergewöhnlich zu nennen – zwei Schach-Ausstellungen im Abstand von lediglich einer Woche wurden eröffnet. In Plauen die Ausstellung „Schach und Humor | Chess Art and Humor“ und in Ebersberg (in S-Bahn Nähe zu München) eine Woche später „Schach und Musik.“
- Beide auch noch darüber hinaus mit Begleitprogrammen bis zum Ende des Novembers.
- Beide werden begleitet durch farbige, sehr gut gestaltete Kataloge, die die Objekte zwar erstrahlen lassen, aber sicher nicht eine Betrachtung mit den eigenen Augen ersetzen können und wollen.
Sehenswert? Ja, unbedingt und ohne Einschränkungen!
Beide verdienen besucht und bestaunt zu werden und zeigen auch für Nicht-Schachspieler zahlreiche und seltene Objekte aus der Kultur und der Geschichte.
Das mag für den einen oder anderen Interessierten zu einem zeitlichen Konflikt führen, jedoch:
„Wer keine Wahl hat, hat die Qual!“ (F.C. Welskopf, 1929).
Das Wochenende 5./6. November 2022 in Ebersberg begann am Samstagnachmittag mit der Gelegenheit, sich durch eine Vorbesichtigung auf das Thema „Schach und Musik“ einzustimmen. Georg Schweiger selbst war anwesend und seine lebhaften Erläuterungen ließen die Schwierigkeiten zur Beschaffung seltenster Objekte, z.B. aus dem Bayerischen Nationalmuseum München, deutlich werden. Voller Stolz konnte er berichten, dass das „Musikalische Schachspiel“ [Katalog S. 88-93] von Gertrude Gompertz (1829-1878) und Anton Edel (1810-1870) noch nie einer Öffentlichkeit zuvor gezeigt worden ist.
Dieser Erfinderin des musikalischen Schachspiels 1852, Gertrude Gompertz, versucht Dr. Natascha Niemeyer-Wasserer in ihrer „Spurensuche“ [Katalog S. 63-67] näher zu kommen.
Und, wer kann von sich behaupten, jemals zuvor das „Bernstein-Figurenset“ [Katalog S. 104-105] aus der Sammlung Dr. Thomas Thomsen gesehen zu haben? [Update 05.12.2022] (Die folgenden Hinweise verdanken wir Frau Barbara Holländer: Der Satz "stimme nicht ganz", schreibt sie und erinnert uns daran, dass auf dem KARL-Heft 4/2007 zum Thema Schach und Musik einige Figuren aus dem Set auf dem Titel abgebildet sind. Ferner an den Aufsatz Ihres Mannes, Hans Holländer (und anderer Autoren und Autorinnen) mit dem Titel Schach und Musik in diesem Heft. Darüberhinaus, so schreibt sie, habe es eine Ausstellung in Berlin 2006 zu Schach und Musik gegeben, die offensichtlich in Vergessenheit geraten sei. An dieser hat mit der Familie Holländer auch Susanna Poldauf gearbeitet. Zu einem Katalog kam es 2006 nicht.) [/Update] Gefertigt wurde dieses Unikat von dem Chefrestaurator des Bernsteinzimmers im Katharinenschloß bei Sankt Petersburg - Alexander Krylow. Seit über 30 Jahren ist er Bernsteinmeister der höchsten Kategorie Russlands.
Nicht die gewohnten Staunton-Figuren stehen auf dem Bernsteinbrett, sondern verschiedene Musikinstrumente bilden hier die Schachfiguren!
So heißt es:
„Dieser Stein – das ist die pure Sonne. Alles auf der Erde lebt ja dank der Sonne. Der Bernstein enthält Sonnenenergie. Er ist ein warmer Stein, auch seine Farbe ist warm: hellgelb.“ [Hildburg Heider | 30.01.2011 im DLF]
Ca. 600 Schallplatten und Tonträger zeigen auf ihren Hüllen verschiedenste Schachmotive aus den Bereichen musizierende Schachspieler, Foto, Kunst, Grafik u.a. Diese kennt in Gänze wahrscheinlich nur der Sammler persönlich, Siegfried Tschinkel aus Eschweiler! Leider finden aufgrund des begrenzten Raumes aus seiner Sammlung und der Georg Schweigers [Katalog S. 94-101 und S. 108-122] nur einige ausgewählte Stücke in den Vitrinen ihren Platz.
„Chess. Variantenreich wie eine Schachpartie!“ titelt Siegfried Tschinkel seinen Aufsatz [Katalog S. 68-73], der eingerahmt ist mit Ausschnitten aus verschiedensten Programmheften zum Musical „Chess“. Allein dieses Sammelgebiet zum Musical „Chess“ bietet eine kaum zu überblickende Fülle an Sammelobjekten. So wird fast jeder Besucher der Ausstellung gemäß seinen musikalischen oder künstlerischen Vorlieben etwas für sich entdecken.
Der Schreiber dieser Zeilen möchte nicht verschweigen, dass es für ihn „The Rolling Stones“ sind [Katalog S. 115].
Zwei weitere Besonderheiten der Ausstellung werden durch Fachaufsätze begleitet. Dr. Rainer Buland, Leiter des Instituts für Spielforschung der Universität Mozarteum Salzburg, schreibt zu einem Figurenset „Volksmusiker als Schachfiguren“ aus dem Volkskundemuseum Wien des Schnitzers Rupert Grießl (1854-1924). Zum Schluss seines Aufsatzes wünscht Rainer Buland:
„Es ist ein großes Glück, dass diese Kleinplastiken, die eben nicht von einem namhaften Künstler stammen, erhalten wurden. Eine größere öffentliche Aufmerksamkeit wäre ihnen zu wünschen.“ [Katalog S. 82]
Aufmerksamkeit erhält diese Volkskunst durch die ganzseitigen, farbigen Abbildungen im Katalog S. 81 u. 83 und hoffentlich auch durch zahlreiche Betrachter in der Ausstellung selbst.
Den Besonderheiten dieser Ausstellung ist noch nicht Genüge getan.
Die Zeiten eines gesellschaftlichen Umbruchs, um 1920, gingen auch nicht am Schachspiel spurlos vorbei. Neu und anders sollte Manches in der Gesellschaft und der Kunst sein und werden. Arnold Schönberg (1874-1951) entwickelte sein „Koalitions- oder Bündnisschach“. Ein Schachspiel mit vier Parteien, die sich zu zwei Koalitionen vereinen und bekämpfen.
Benennungen der Schachfiguren lassen erahnen, welche geschichtlichen Erfahrungen sich in ihnen widerspiegelt: König, Flieger, Unterseeboot, Tank, Artillerie, Ingenieur, Radfahrer, Schütze und Maschinengewehr.
Ein Spielversuch, genannt „Fliegeralarm“, verfasst von Georg Schweiger, mit Veronika Exler (2fache österreichische Staatsmeisterin), GM Stefan Kindermann, GM Gerald Hertneck und Georg Schweiger selbst wird im Katalog S. 46-47 dokumentiert. Die Dokumentation besteht ferner aus Fotos, der Aufstellung der Figuren, den Regeln und den Abbildungen zu den von der Holzbildhauerei Kreutz (Gröbenzell) geschnitzten Figuren [Katalog S. 84-85].
Überrascht ist der Besucher auch, wenn er vom „Wiederauffinden“ [Katalog S. 23-27] der musikalischen Werke P.P. Saburows erfährt. Dies gelang Dr. Hans Ellinger (Tübingen) und Klaus G. Liehr. Dazu sollte man wissen, dass P.P. Saburow zu den Organisatoren des berühmten Großmeisterturniers St. Petersburg 1914 gehörte.
Vergleichbar mit dem Musical „Chess“ hat auch die „Schachnovelle“ von Stefan Zweig verschiedenste Künste und Künstler fasziniert. Ballett, Comic, Bühnenautoren, Illustratoren usw. nahmen den Text zur Grundlage. Während der Schwetzinger Festspiele 1994 war die „Schachnovelle“ Ausgangspunkt für die Komponistin Violeta Dinescu und deren Opernfassung.
Ein Exemplar der Partitur [Sammlung Siegfried Schönle, Kassel], von Prof. Violeta Dinescu signiert, liegt in einer der Vitrinen, in direkter und angenehmer Nachbarschaft zum großen Komponisten und Schachspieler François-André Danican Philidor (1726-1795).
In Schwetzingen wurden während der Aufführung Papierschnitte des Künstlers Alfons Holtgreve (Warburg) an die Bühnenwände projiziert, von denen ein Teil Eingang in eine illustrierte Ausgabe der „Schachnovelle“ im Verlag S. Fischer fand.
Dieses und mehr können Besucher noch bis Ende November persönlich in Augenschein nehmen.
Die eigentliche Eröffnung der Ausstellung fand abends im Alten Speicher | Ebersberg statt. Dieser große Saal war sehr gut mit Gästen gefüllt, die an Tischen saßen, was für die gesamte Atmosphäre des Abends als angenehm aufgenommen wurde.
Nach und während der launigen Grußworte des Veranstalters Georg Schweiger, des Bürgermeister Ulrich Proske und des stellv. Landrates Walter Brilmayer, die die vergangenen und gegenwärtigen Leistungen der Kulturstiftung zurecht lobten, konnten die Teilnehmer Getränke genießen.
Kein geringerer als GM Dr. Helmut Pfleger hielt im Anschluss daran den Eröffnungsvortrag zur Ausstellung „Schach und Musik“. Eine „Wanderung“ anhand bekannter und auch unbekannter Namen vom Mittelalter bis in unsere Tage wurde von ihm vollzogen. Von Pedro Alfonsi und Alfons dem Weisen als frühe Zeugen zu Schach und Musik, über Philidor zu Schachspielenden Komponisten wie David Oistrach, hin zu Robert Schumann, John Cage, Ferenc Erkel. Fortfahrend mit Doppeltalenten, den Schachmeistern und Sängern oder Großmeistern und Pianisten, zu nennen sind Wassili Smyslow und Mark Taimanow. Diagramme wurden auf der großen Leinwand geboten, die ihre sachgemäße Erläuterung durch den Vortragenden fanden. Auch für die schachunkundigen Zuhörer musste überdeutlich werden, dass Schach und Musik zusammengehören, miteinander verflochten sind. Nachzulesen ist der Vortrag im Katalog S. 8-21. Ganz und gar nicht trocken, sondern durch Fotos, Diagramme und Faksimiles für jedermann nachvollziehbar.
Großen Anklang fanden die musikalischen Darbietungen der Ebersberger Musikschule. Geboten wurde Stücke von Bach, Schumann und Mozart.
Großzügig zeigte sich die Schachstiftung den weit über hundert Gästen gegenüber, indem diese in der Pause kostenlos Getränke und kleinere Speisen servieren ließ.
Nach der Pause stellte Dr. Natascha Niemeyer-Wasserer den Ausstellungskatalog dem Auditorium vor. Einzelne Objekte wurden auf eine große Leinwand projiziert und deren jeweilige Bedeutung herausgestellt.
Ein Schachspiel, aber ein Besonderes und ein besonderer Film, bildete den Abschluss dieses gelungenen Abends: Das „Koalitions- oder Bündnisschach“ von Arnold Schönberg.
Ilke und Anton Ackstaller dokumentierten filmisch die durchaus noch „holperig“ zu nennenden Versuche Veronika Exlers (2fache österreichische Staatsmeisterin), GM Stefan Kindermanns, GM Gerald Hertnecks und Georg Schweigers dieses Spiel zu spielen und deren ungewöhnliche Regeln anzuwenden.
Eine Kurzfilmpremiere zum Ende des Abends.
Ein Abend, der so schnell nicht in Vergessenheit geraten wird!
Siegfried Schönle (Kassel), November 2022
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