Erinnerungen an Hans Holländer
6.2.1932 Hamburg - 28.4.2017 Berlin
Professor Hans Holländer war kein Mitglied der KWA, aber viele von uns kannten zumindest seinen Namen aus vielfältigen Publikationen zur Kultur und Geschichte des Schachspiels. Vor allem für diejenigen, die nicht das Vergnügen einer persönlichen Bekanntschaft hatten, möchte ich eine Beschreibung einiger weniger Highlights seines Schaffens durch persönliche Erinnerungen ergänzen und beides mit Bild- und Tondokumenten illustrieren.
In die "Schachszene" geriet der Kunsthistoriker Holländer, als er seinem Buch über das Werk Paul Wunderlichs (1985) das Bändchen "Minotaurus im kinetischen Labyrinth" (1989) folgen ließ, in dem er, ausgehend von Wunderlichs Schachfiguren, in einem Parforceritt von einhundert Seiten den Kosmos von Schach und Kunst so furios ausmisst, dass es dem Leser schier den Atem verschlägt. Der originelle Denker blieb nicht lange unentdeckt und wurde schnell von den Chess Collectors International vereinnahmt, denen er bis zuletzt treu blieb. Auf seine wichtige Tätigkeit in der im Haus von CCI-Präsident Thomas Thomsen 1991 gegründeten "Initiativgruppe Königstein" werden wir weiter unten noch zu sprechen kommen.
Ein glückliche Fügung wollte es, dass Prof. Holländer nach seiner Emeritierung im Jahr 1999 aus familiären Gründen mit Ehefrau Barbara von Aachen nach Berlin zog, wo am 11.1.2001 die Emanuel Lasker Gesellschaft (ELG) gegründet wurde, der beide als Gründungsmitglieder bis zu ihrem Austritt Ende 2007 angehörten. Schon bei der Potsdamer Laskerkonferenz fiel Holländer durch seinen Vortrag "Wildwechsel von Ideen" auf, in dem er die geistigen Wurzeln für Steinitz' Ökonomieprinzip in den physikalischen Theorien von Ernst Mach verortete. (Wundert sich jemand, dass ein Kunsthistoriker Beziehungen zwischen Physik und Schach aufzeigt? Holländer interessierte sich schon als Schüler intensiv für Mathematik, Physik und Raumfahrt, begann auchzunächst ein Studium der Mathematik und Physik und wechselte erst danach zur Kunstgeschichte. Er wusste, wovon er sprach, auch wenn es nicht um Kunst ging.)
Schadow und der "Alte Club": Berlin 1803-2003
Holländers Vorträge und Artikel waren immer hörens- und lesenswert, aber seine eigentliche Domäne war die große Form, insbesondere die sachkundig und liebevoll kuratierte Ausstellung. In Berlin ragt vor allem diejenige zu "Schadows Schachclub" hervor, den er zusammen mit Ehefrau Barbara zum 200-jährigen Jubiläum im Jahr 2003 der Vergessenheit entriss. In akribischer Detailarbeit rekonstruierte das Forscherpaar nicht nur die Geschichte, sondern auch das soziale und personelle Milieu des ersten Schachvereins in Deutschland und krönte sein Werk durch einen inhaltlich wie ästhetisch begeisternden Katalog. Auch die Ausstellung selbst war eine Teamarbeit der Familie Holländer, sie wurde von Tochter Friederike und ihrem Ehemann Thomas Joeken, beide Architekten, gestaltet. Teil der Gesamtveranstaltung war auch eine Schachhistoriker-Tagung der "IG Königstein".
Eröffnungsrede:
Schachpartie durch Zeiten und Welten
Schon im Jahr 2005 ergab sich die Gelegenheit, anlässlich des 175. Geburtstags des größten deutschen Schachvereins, des Hamburger Schachklubs von 1830, eine große Ausstellung im dortigen "Museum für Kunst und Gewerbe" zu gestalten. Die prachtvollen Schachspiele und sonstigen Kunstwerke öffentlicher und privater Leihgeber (vor allem von Chess Collectors International) machten die über drei Monate dauernde Veranstaltung zu einem Genuss für die zahlreichen Besucher, und der opulente Katalog mit gut 360 großformatigen Seiten ist eine Zierde für jede Schachbibliothek. Dass auch diese Ausstellung wieder im Teamwork des Ehepaars Holländer entstand, wurde diesmal auch im Eröffnungsvortrag deutlich, der im Duo absolviert wurde:
Eröffnungsvortrag:
Scacchia Ludus
Von der "Initiativgruppe Königstein", benannt nach dem Wohnort des (Mit-) Initiators Thomas Thomsen war schon kurz die Rede. Diese internationale Gruppe von Schachhistorikern hatte sich zum Ziel gesetzt, die seit Murrays "History of Chess" (1913) neu gewonnenen Erkenntnisse zu systematisieren und zu publizieren. Nach vielen "Geburtswehen" und Verzögerungen gelang es 2008, den ersten (und möglicherweise leider auch letzten) Band von "Scacchia Ludus" zu produzieren, der auf mehr als 600 Seiten die Überlieferungsgeschichte des arabischen Schachs und seine Wanderung in den Westen bis in die Neuzeit behandelt. Mitherausgeber Hans Holländer ist als einziger Autor mit mehreren (vier!) Beiträgen vertreten und behandelt neben dem "Schachspiel in literarischen Texten des Mittelalters" (zusammen mit Ehefrau Barbara) und dem "Schachspiel in der Literatur der Neuzeit und Moderne" auch "Das Schachspiel als Metapher, Struktur und Modell imaginärer Welten" sowie (wie könnte es anders sein?) "Schach und Mathematik".
Vereinsleben
Man könnte die Reihe der Ausstellungen und Publikationen noch lange fortsetzen, aber wir wollen es bei den wenigen repräsentativen Beispielen belassen. Es soll auch nicht der Eindruck entstehen, Holländer sei ein weltfremder Gelehrter gewesen, der sich in seinem Studierzimmer vergrub und außer seinen Forschungen nichts kannte. Das Gegenteil war der Fall: Er war gewiss nicht das, was man in Deutschland einen "Vereinsmeier" nennt, aber insbesondere die Treffen der bereits eingangs erwähnten Laskergesellschaft sahen ihn als regelmäßigen und engagierten Gast. Einige kleine Hörbeispiele sollen verdeutlichen, dass Hans Holländer kein Vorlesungspodium brauchte, um sich mitzuteilen, sondern auch in diesen informellen Gesprächsrunden pointiert, kenntnisreich und witzig einen Gedanken auf den Punkt bringen konnte.
Audiodateien:
Eckbauern: Landwirte und Gauner:
Tarrasch und die Ästhetik:
"Er wurde geboren, lebte, arbeitete und starb!":
"Der Mann, der sich selbst erfindet":
In angenehmster Erinnerung habe ich auch die gemeinsamen Autofahrten zu den CCI-Treffen in Naumburg (2009), Weimar (2014) und Trier (2015). Hier war zu viel schachliches "Fachsimpeln" nicht angebracht, da meine Frau keine Schachspielerin ist, so dass über eine Vielzahl anderer Themen gesprochen wurde. Mich beeindruckte immer wieder, mit wieviel kritischer Distanz Holländer der etablierten akademischen Welt und der Kunstszene gegenüberstand - manchmal hatte ich das Gefühl, nicht mit einem Rentner, sondern mit einem jugendlichen Feuerkopf von 20 Jahren zu sprechen. Wenn er gelegentlich zu temperamentvoll wurde, griff Gattin Barbara mit liebevoller Bestimmtheit ein...
Als langjähriger Professor an einer renommierten Universität (der RWTH Aachen) war Holländer natürlich formal selbst ein Vertreter des "Establishments", aber er war dies durch Leistung, nicht durch Herkunft. Das Geld für sein Studium musste er sich selbst verdienen, durch schwere körperliche Arbeit im Bergbau. Er sah dies aber keineswegs als verlorene Zeit an, ganz im Gegenteil: Die Solidarität, die Verlässlichkeit und das Füreinander-Einstehen bei der gefährlichen Arbeit im Bergwerk waren für ihn eine wichtige und prägende Lebenserfahrung, an die er sich gern erinnerte; von seinen damaligen Kollegen sprach er auch nach Jahrzehnten noch mit Sympathie und Hochachtung.
In den letzten Jahren verschlechterte sich sein ohnehin schon reduziertes Sehvermögen, so dass ihm das Lesen, das für seine Arbeit von großer Bedeutung war, immer mehr Mühe machte. Das genaue Hinschauen war ihm trotzdem so wichtig wie eh und je und musste eben mit technischen Hilfsmitteln unterstützt werden.
Von den altersbedingten körperlichen Einschränkungen ließ er sich die Freude an der geistigen Arbeit nicht verderben; in seinen letzten Lebensjahren interessierte er sich vor allem für die Rezeption der chinesischen Kultur im Westen. Auf unseren gemeinsamen Fahrten berichtete er immer wieder voller Enthusiasmus über die Fortschritte an seinem letzten großen Werk. Es muss eine große Befriedigung für ihn gewesen sein, dass er es (inklusive der notwendigen Korrekturen) noch abschließen und an den Verleger übermitteln konnte. Und so werden wir "Europas chinesische Träume - Die Erfindung Chinas in der europäischen Literatur" demnächst als posthume Veröffentlichung in Empfang nehmen dürfen.
Hans Holländer hat uns allen durch seine Veröffentlichungen viel gegeben; wer zusätzlich das Glück hatte, ihn persönlich zu kennen, erinnert sich dankbar an einen wertvollen, liebenswerten und interessanten Menschen.
Andreas Saremba