Der Harzer Schachbund
von Siegfried Schönle
In Deutschland soll es den Angaben des Deutschen Schachbundes zufolge über 2000 Schachvereine geben. Ein jeder dieser Vereine hat seine eigene Geschichte, sei diese kurz oder auch weit zurückreichend in die Historie des Schachs in Deutschland.
Ein allgemein wahrnehmbares Zeichen hierfür sind u.a. die zahllosen Vereinszeitschriften, Festschriften, Veröffentlichungen zu den Vereinsjubiläen, die in aller Regel in dem engen Kreis des Vereins und der jeweiligen Stadt Bedeutung und Aufmerksamkeit finden, seltener ein überregionales Interesse bewirken.
Ein kurzer Blick zurück in die Geschichte der Schachvereine oder Schachclubs zeigt, dass der älteste Schachclub Deutschlands in Berlin 1803 – später der Große Schachclub genannt – gegründet wurde. Dies ist u.a. belegbar durch die folgende anonym erschienene Schrift:
Berlinische Nächte. [anonym, Mercy, Joseph Aloys, 1764-1833].
In einer großen Gesellschaft von Schachspielern. 72. Nacht.
2 Bände. viii, 372 S., 1Bl. | viii, 355 S., 2Bll; vgl. insbes. Bd. 2 und S. 104-112.
Leipzig und Züllichau, 1.Aufl. 1803/1804 : Darnmannsche Buchhandlung.
kl.8°; HLdrbde d.Z. mit 2 Rüschildern.
In der 72. Nacht, Bd.2, S. 104-112, von 104 Nächten dieser "skandalösen Nachtchronik" des damaligen Berlins, schildert der Verfasser eine neue Schachgesellschaft in Berlin, in der "Taubenstraße" bei W.
„Was die geduldigen Leser am Tage thun, nämlich dem Spiele der Journalisten und Zeitungsschreiber mit sich selbst bis zum Umlegen der letzten Figur zuschauen, das geschieht auch in dieser neuen Gesellschaft von – Schachspielern bei W. in der T --- straße, die sehr würdige Männer von edlen Ständen, und trotz der literarischen Klubbs schon vierzig Mitglieder zählt.“ (S.105)
Und wenige Zeilen weiter heißt es:
„Nur hat diese an Figuren arbeitende neue Gesellschaft die Schwachheit mit so manchen Figuranten der gelehrten Gesellschaften gemein, daß sie auch Gesetze einführen will.“ (S.106)
Der Erwerb dieser seltenen Bände erlaubte mir vor 2003 Prof. Hans Holländer auf diese literarische Schachstelle aufmerksam zu machen, was seinen Niederschlag in dem Katalog Schachdows Schachclub. Ein Spiel der Vernunft in Berlin 1803-1850, hrsg. v. Barbara und Hans Holländer 2003 fand.
Sein Versäumnis, der üblichen wissenschaftlichen Praxis zu entsprechen, dem Hinweisgeber bedeutender Quellen zu danken, entschuldigte Prof. Holländer in einer Mail an den Verfasser v. 8.1.2003:
„Zu den 'Berlinischen Nächten'. Mea culpa. Ich hätte Ihnen natürlich in einer Fußnote für die Information danken müssen und habe das - leider – vergessen. Bitte entschuldigen Sie. Ich halte mich sonst an die „übliche Praxis“.
Ganz so alt ist die hier nun vorzustellende neue Publikation nicht – aber immerhin reicht sie auch bis ins 19. Jh. zurück, sie gibt Auskunft zu den Jahren 1882 bis 1939 und, wie kann es auch anders sein, zu einer begrenzten Region Deutschlands. Darüber hinaus nicht nur zu einem Schachverein, sondern zu einem Schachbund, dem
Harzer Schachbund.
Der grüne Stempel verrät dem Leser unmittelbar, an welchem Ort das Original aufbewahrt wird:
Schachbibliothek SG 1871 Löberitz e.V.
Dem rührigen Museumsleiter, Konrad Reiß, ist es nun zu verdanken, diese zwei Protokollbücher in einem Voll-Faksimile den heutigen interessierten Schachhistorikern und/oder Sammlern zur Verfügung zu stehen.
Die beiden Protokollbücher umfassen den Zeitraum 1882 bis 1939 und wurden von Konrad Reiß geordnet und gestaltet, sprich, für den heutigen Druck aufbereitet.
Das Faksimile gliedert sich in drei Teile.
Teil 1 enthält eine Einleitung, eine kurze Geschichte des Harzer Schachbundes und einen Beitrag zur Provenienz, verfasst von Konrad Reiß.
In den Teilen 2 und 3 folgen dann die beiden Protokollbücher als Faksimile. Die Abbildungen werden mit der originalen Seitenzahl wiedergegeben. Eingefügt werden Zusatzseiten mit den in den Büchern vorhandenen Programmen, Zeitungsartikeln etc. ohne Seitenbezeichnungen.
Als ein eindrückliches Beispiel hier der erste Eintrag.
„Erste constituiernde Generalversammlung des Harzer Schachbundes vom 3. Mai 1882.“
Das zweite Protokollbuch umfasst die Jahre 1901 bis 1939 und ist im Vergleich zum ersten aufwendiger und schöner gebunden.
Unterzieht man sich der Mühe, im Faksimile zu lesen, was zugebenermaßen nicht immer einfach ist, so begegnet man durchaus auch heutigen Situationen.
Der nächtliche Flaneur und Autor der „Nachtchronik“, A. Mercy, war u.a. Sekretär und Registrator bei der königlichen Lotterie in Berlin. Er wirft 1803 der Schach-Gesellschaft die „Schwachheit“ vor, „daß sie auch Gesetze einführen will.“
In den Protokollbüchern ist von den „Statuten“ die Rede, siehe oben Bucheinband Titelseite (innen).
Heute würde man eher von Vereinssatzungen sprechen. Sind wir beschlussfähig laut Satzung? - so etwa beginnt die eine oder andere Jahresversammlung heutiger Schachvereine.
Der blätternde Leser des Druckes sieht Tabellen, Notationen, Listen der Teilnehmer, Turnierergebnisse, Notizen, Hinweise auf Ströbeck u.a.
Sehr reizvoll zu lesen und historisch wertvoll sind die verstreut eingeklebten Zeitungsartikel, von denen hier abschließend vier gezeigt werden sollen. Leider ist unbekannt geblieben, aus welchen Zeitungen diese Ausschnitte stammen.
Auflagenhöhe: 10
Die Nr. 1/10 (LBN 5278) und ein nichtnummeriertes Korrekturexemplar hat einen Platz in der Löberitzer Schachbibliothek gefunden und die Nr. 2/10 wird am 19. September dem Schachdorf Ströbeck aus Anlass des Jubiläums "200 Jahre Schulschach in Ströbeck" übergeben.
Das Faksimile ist zu bestellen bei Konrad Reiß, konradreiss@web.de
Siegfried Schönle, Kassel, August 2023