Besuch in Cleveland (Ohio)

von Michael Negele

Cleveland-Funde I

Im Bild sehen wir unsere freundlichen Gastgeberinnen, neben Lissa Waite (mit den Buchpräsenten), der wir die Bereitstellung all der Lasker-Schätze verdanken, auch Pamela J. Eyerdam, Abteilungsleiterin der "Fine Arts & Special Collections".
Im Bild sehen wir unsere freundlichen Gastgeberinnen, neben Lissa Waite (mit den Buchpräsenten), der wir die Bereitstellung all der Lasker-Schätze verdanken, auch Pamela J. Eyerdam, Abteilungsleiterin der "Fine Arts & Special Collections".

Wir unternehmen einen kurzen Zeitsprung in die Mitte der zwanziger Jahre, in Moskau fand ein großes Turnier statt, das die Schachgrößen seiner Zeit versammelte und in dem der Deutschrusse Bogoljubow die beste Leistung seiner Schachkarriere erzielte.

Bogoljubow - Lasker, Moskau 1925. Der Zuschauer ist kein Geringerer als Nikolai W. Krylenko, Stalins "Kettenhund".  [Foto aus Savielly Tartakower, Schachmatnaja Prawda (Leningrad 1926)]
Bogoljubow - Lasker, Moskau 1925. Der Zuschauer ist kein Geringerer als Nikolai W. Krylenko, Stalins "Kettenhund". [Foto aus Savielly Tartakower, Schachmatnaja Prawda (Leningrad 1926)]

Die anekdotenhafte Episode, die sich um die wohl berühmteste Verlustpartie von Emanuel Lasker rankt, ist allgemein bekannt.
Moskau 1925, 12. Runde: Lasker verliert seine Partie gegen Carlos Torre durch eine elegante Zwickmühlenkombination des letzteren. Die vorhergehenden unbedachten Züge Laskers sollen durch ein Telegramm ausgelöst worden sein, das ihn während der Partie erreichte und ihn über die Annahme seines (gemeinsam mit seinem Bruder Berthold verfassten) Bühnenstücks Vom Menschen die Geschichte durch ein deutsches Theater unterrichtete.

Unter den Lasker-Memorabilien in Cleveland befanden sich drei Telegramme, die in diesem Zusammenhang hochinteressant erscheinen – drei Telegramme, die Lasker in Moskau schrieb bzw. erhielt:

Das Erste datiert wohl auf den 06.11.1925 (das Turnier begann am 10.11.25), es fordert das Drama (und 200 gute Zigarren) an.
Das Datum 06.11. ist abgesichert durch einen Brief, den Lasker am gleichen Tag aus Moskau an seine Frau geschrieben hat.

Insbesondere das Zweite ist von großem Interesse, es kam tatsächlich am Nachmittag des 25.11.1925 um 16:45 Uhr in Moskau an, also an jenem Tag, als die Partie Laskers mit Torre stattfand. Die Partien wurden von 15:30 Uhr bis 19:30 Uhr gespielt, so dass das Telegramm seines Bruders Bert(h)old ihn tatsächlich während der Partie erreicht haben kann.
Im etwas verstümmelten Text:
Selenkas = Helmuth Zelenka, der später (1927) einen Vortrag zum Lasker-Drama hielt. (Zur Aufführung kam es ja bekanntlich nie.)

Das Dritte schließlich vom 26.11.1925, also direkt danach - trotz der Niederlage war Lasker "guten Mutes".

Cleveland-Funde II

Michael Negele in der Cleveland Public Library. Weiße Handschuhe sind hier Pflicht - zumindest bei den Scrapbooks und Originalmanuskripten! Im Hintergrund an der Wand das John G. White-Gemälde.
Michael Negele in der Cleveland Public Library. Weiße Handschuhe sind hier Pflicht - zumindest bei den Scrapbooks und Originalmanuskripten! Im Hintergrund an der Wand das John G. White-Gemälde.

Die zweite Folge unserer Fundstücke ist einem der Väter der "Hypermodernen" gewidmet - dem dänisch-lettischen Großmeister Aaron Nimzowitsch (1886-1935). In Cleveland fand sich u.a. das folgende Bild von 1932 mit Begleittext in einem Schaukasten.

Hier der ausgestellte Text zum Nachlesen.
Eine Variante der obigen Aufnahme: Nimzowitsch, der Erleuchtete!

Ein weiteres schachhistorisch interessantes Foto wurde auf einem Zeitungsausschnitt entdeckt. (Leider ist das Foto nur in minderwertiger Qualität erhalten.) Nimzowitsch hatte im Februar 1928 das Jubiläumsturnier der Berliner Schachgesellschaft knapp gewonnen (mit 10/13) vor Bogoljubow, Tartakower und P. Johner.

"Ich gratuliere, Herr Nimzowitsch!" - Emanuel Lasker beglück- wünscht den Sieger im Berliner Schachturnier.
"Ich gratuliere, Herr Nimzowitsch!" - Emanuel Lasker beglück- wünscht den Sieger im Berliner Schachturnier.

Zwei Jahre zuvor war Lasker - ebenfalls in Berlin - von dem Künstler David Friedmann in einer Zeichnung festgehalten worden.
(Internationales Meisterturnier vom 17.-29. November 1926)

[Miriam Morris, die Tochter von David Friedmann, ist weiterhin auf der Suche nach Porträtzeichnungen ihres Vaters, siehe hierzu ihre Anfrage von Oktober 2006.]

Ein besonders bemerkenswerter Fund stellt aber der Brief dar, den Nimzowitsch zu Beginn des Jahres 1929 an Emanuel Lasker schickte. Das zentrale Anliegen von Nimzowitsch ist leicht auszumachen: es besteht darin, Lasker zu einer Zusammenarbeit bei einer geplanten Broschüre zu bewegen, sein Gesuch ist eingebettet in allerlei Schmeichelreden, die aber in ihrer Überspanntheit eher das Gegenteil der beabsichtigten Wirkung erzielt haben könnten. Überhaupt fällt im gesamten Brieftext die devote Haltung auf, die Nimzowitsch gegenüber Lasker einnimmt. Die Antwort Laskers auf diesen Brief ist uns nicht bekannt, jedenfalls ist die beabsichtigte Broschüre nie erschienen (statt dessen Nimzowitschs autobiographisches Büchlein Kak ja stal grosmejsterom ["Wie ich Großmeister wurde"]).

Hier nun der Original-Brief vom 4. Januar 1929 (bitte die Vorschau-Bilder anklicken!):

Eine Übertragung in maschinengeschriebenen Text (von Michael Negele) sowie eine Übersetzung ins Englische (von Kurt Landsberger) finden Sie in den folgenden pdf-Dateien:

Unserem Freund Kurt Landsberger danken wir für die in diesem Fall besonders mühsame Übersetzungsarbeit.

Im gleichen Monat (Januar 1929) erschien in der Wiener Schachzeitung Nimzowitschs Artikel "Laskers allumfassender Spielstil", den wir an dieser Stelle gleichfalls zur Lektüre anbieten:

Jurgen Stigter und Michael Negele am "Doorway to Chess Heaven" [John G. White Special Collections]

Jurgen Stigter und Michael Negele am "Doorway to Chess Heaven"
[John G. White Special Collections]

Jurgen und Calle "im Blick" von John G. White - hier das Gemälde in Großansicht.

Für unsere staunenden Schachfreunde gab es viele Sehenswürdigkeiten, hier ein Reineke Fuchs-Figurensatz. [Geschenk von Ruth Mielziner Moss zum Gedenken an ihren Vater, Benjamin C. Mielziner (ca. 1944).]

Alte Zeitungsausschnitte fördern immer wieder erstaunliche Funde zutage.

Die folgende Bildergalerie vermittelt einen Eindruck von den faszinierenden Räumlichkeiten und der Ausstattung der Cleveland Public Library (15 Fotos).

Emanuel Lasker in einem alten Prachteinband ...

... und in Schwermetall- Ausführung.

Wir fügen eine weitere Galerie mit 9 Lasker-Fotos in chronologischer Folge an: Lasker-Galerie

Entspannung beim Dinner:
Michael Negele und Lissa Waite

Martin Hillyer, Gisela Hillyer und Calle Erlandssson

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