Mit Lourenço Cordioli am Grab von Ludwig Engels in São Paulo
Ludwig Engels wurde am 11.12.1905 in Düsseldorf geboren, er starb am 10.01.1967 in São Paulo. Seine herausragenden Erfolge waren: a) der 2. Platz im Turnier Dresden 1936, knapp hinter Alexander Aljechin, den er besiegt hatte; und b) der Olympiasieg 1939 in Buenos Aires am 3. Brett mit der (groß-)deutschen Mannschaft, mit dem besten Einzelergebnis aller Teilnehmer.
Lourenço Cordioli ist der älteste und beste Freund von Ludwig Engels. Er unter-stützte den nach der Schacholympiade in Buenos Aires 1941 mittellos in São Paulo gestrandeten Meister und half ihm über die schwierige Kriegszeit hinweg. Im Gegenzug bildete ihn Engels zu einem starken Spieler aus, der dreimal in Folge die Schachmeisterschaft von São Paulo gewonnen hat (1947-49), eine bis heute unerreichte Leistung.
Lourenço hatte im Jahre 2007 (gemeinsam mit seinem Sohn Jairo) den Düsseldorfer Schachverein 1854 besucht. Bei meinem Gegenbesuch in São Paulo hatte ich nun die Ehre und das Vergnügen, im Hause des soeben 95 Jahre alt gewordenen Lourenço zu wohnen, der sich altersgemäß guter Gesundheit erfreut und noch im eigenen Haus mit seinen beiden Enkeln lebt. Am 5. Oktober 2011 haben wir gemeinsam das Grab von Ludwig Engels im Cemitério da Lapa besucht. Es befindet sich dort am Platz Q.70, T.84. Das Grab ist heute leider verwahrlost, soll aber Gerüchten zufolge vom Clube de Xadrez 1902 wiederhergestellt werden.
Den nachfolgenden Nachruf von Ludwig Engels zeigte mir Herman Claudius van Riemsdijk in seiner Bibliothek in São Paulo. Er wurde (unter dem angegebenen Titel) in derselben Schachspalte der Tageszeitung "O Estado de São Paulo" veröffentlicht, die Engels viele Jahre bis zu seinem Tod redigiert hatte. Im Gegensatz zu den mir bisher bekannten Nachrufen ist er aus kompetenter Hand, nämlich von Hélder Câmara, dem zweimaligen Meister von Brasilien (1963 und 1968) und Engels’ Nachfolger (1967-70) beim "O Estado". Câmara war einer der Letzten, die Engels nach seinem Schlaganfall noch lebend gesehen haben, und er hat ihm auch deswegen eine starke Anhänglichkeit bewahrt. In blumigen Worten (die an seinen gleichnamigen Onkel, den berühmten Befreiungstheologen und Erzbischof von Recife erinnern) beschreibt Câmara auch deutlich die Bedeutung, die Engels zur Entwicklung des brasilianischen Schach beigemessen wurde. (Übersetzung des Autors; ohne Engels bekannte Schachlaufbahn.)
Meister Engels
"Es gibt Leben, das sich erst mit seinem Tod enthüllt. Leben im Gleichgewicht und in der Kontemplation, in nützlicher konstruktiver Arbeit und in Erwartung und Gestaltung dessen was kommt. Wenn man einen Vergleich ziehen darf: Solches Leben erinnert nicht an den prächtig gekrönten Bauern auf der 8. Reihe der Welt, sondern an jenen wirkungsvollen Bauern, der fast vergessen auf der 6. Reihe des Weltgeschehens steht. Dieser aber ist es, von dem das Mattnetz ausgeht, das zum Triumph führt und eine Partie heraushebt. So einer war Meister Ludwig Engels mit seiner ruhigen und produktiven Weiterentwicklung der Schachkunst.
Er hatte schon den Konflikt 1914-18 in Europa miterlebt, als er aus einem von der Bedrohung durch den Zweiten Weltkrieg aufgewühlten Europa ausreiste. Der brasilianischste aller deutschen Schachspieler war dennoch ein ruhiger Mensch, konzentriert auf das Labyrinth seiner Betrachtungen, auf seine tiefen Analysen. Wenn wenige unter uns sind, die seine Nähe erleben durften, allen legte er die Reinheit seiner hohen Gefühle offen dar. Und über die Weitergabe seiner tadellosen Schachtechnik hinaus gab er in dem Vierteljahrhundert, in dem er in Brasilien lebte, der Kunst Caissas einen neuen Impuls, einen Fortschritt in ungewöhnlicher Dimension. (…)
Er arbeitete mit den herausragenden Publikationen des Schach in aller Welt zusammen und war auch der Redakteur dieser Kolumne. Er verteidigte das brasilianische Schach in verschiedenen internationalen Kämpfen, immer in brillanter Weise.
Und für seine ungezählte Arbeit beklagen wir heute das Ableben dessen, der so viele Meister von São Paulo und Brasilien geformt hat."
Friedrich-Karl Hebeker, im November 2011